Wenn man sich auf einen Spaziergang rund um Pitigliano begibt, läuft man immer wieder durch steil aufragende, schmale Felsschluchten, die bis zu 20 Meter hoch sind. Zuerst denkt man an einen Bachlauf, der sich durch den Tuffstein gegraben hat. Aber kurze Zeit später versteht man, dass es sich hier um etwas Besonderes, Rätselhaftes handelt. Es hängt mit den Etruskern zusammen, mit ihren Mutter-Gottheiten und ihrem Hang zu unterirdischen Welten. Spannend.
Mit solchen Hohlwegen ist die ganze Region hier durchzogen.
Magisch haben diese Wege auf mich gewirkt. Diese unglaublich hohen Wände sind von Menschenhand geschaffen. Das sieht man, wenn sich Ihnen nähert. Man erkennt Kratzspuren von Werkzeugen.
Eine Historikerin, die hier im Sommer wohnt, hat mich auf die Forschungen von Giovanni Feo aufmerksam gemacht (als Buch leider nur in Bibliotheken und antiquarisch erhältlich). Feo wohnte in Pitigliano und belegt, dass in der matriarchalischen Tradition der Etrusker Höhlen und tief gelegene Wege als Labyrinth im Körper der Mutter Erde angesehen wurden. Deshalb wurden Begräbnisse, die ja mystisch gesehen eine Rückkehr zur Mutter Erde darstellen, von diesem alten Volk in Höhlen begangen. Die Hohlwege wiederum verbinden die Begräbnisstätten miteinander.
Vermutlich wanderten die Etrusker aus Kleinasien in das Gebiet der heutigen Toskana ein, aber sicher weiß man das nicht. Fest steht hingegen, dass dieses Volk schon 1000 Jahre vor Christi eine hoch entwickelte Kultur hatte.
Im archäologischen Park von Sovana kann man sie sehen - die etruskischen Grabkammern. Sie werden auch Nekropolen genannt. Manche sind ziemlich groß, andere klein und versteckt.
Das Prachtgrab dort nennt sich TOMBA ILDEBRANDA und ist das größte, noch erhaltene, etruskische Tempelgrab, entdeckt 1924. Fast alles, was wir von den Etruskern wissen, stammt aus ihren Gräbern. Erhalten ist das, was sie ihren Toten mitgegeben haben. Die Wissenschaftler haben so herausgefunden, dass die Etrusker vor allem Erd- und Muttergottheiten anbeteten.
Es gibt 15 Hohlwege, vie cave, rund um Pitigliano. Alle Abhänge des Tales sind davon durchzogen. Im Umkreis von zehn Metern kann man von einem zum nächsten Weg wandern.
Was einen Spaziergang dort so einmalig macht, ist nicht nur die historische Dimension. In der Mittagshitze sind die tiefen Schluchten kühle Oasen. Und die Schatten der Blätter hoch darüber zeichnen bizarre Muster auf die geheimnisvollen, rituellen Wege der Etrusker.
Wenn man den archäologischen Park nahe Sovana besucht hat, lädt das Städtchen wenige Kilometer entfernt zu einer Erfrischung ein. Der Ort ist etwas Besonderes. Zuerst fällt auf, dass alles für italienische Verhältnisse überaus aufgeräumt wirkt, so als wäre die alten Gebäude gerade erst entstanden. Das Gegenteil ist natürlich der Fall.
Schon in der Jungsteinzeit lebten hier Menschen. Zur Zeit der Etrusker war die Stadt ein Handelszentrum, im Mittelalter ein stolzer Adelssitz mit einer außergewöhnlich schönen Kathedrale im romanisch-gotischen Stil.
Mehrere Kirchen und Palazzi säumen die Hauptstraße. Und das alles wäre fast unter die Räder gekommen. Die letzte Blütezeit erlebte der Ort im 11. Jahrhundert. Von da an gings bergab.
1833 hatte der Ort nur noch 60 Einwohner, heute sind es wieder 150. Viele davon sind Künstler oder Kunsthandwerker. Denn mit großem Engagement versucht die Mutterstadt Sorano den Ort wiederzubeleben und zu einem touristischen Zentrum zu machen.
Als ich im Juli 2015 das letzte Mal dort war, schien das noch nicht gelungen. Es gibt dort Hotels und eine nette Gastonomie und auch hübsche Geschäfte. Aber überlaufen war der Ort ganz und gar nicht. Erstaunlich! Denn er ist überhaus pittoresk und hat viel zu bieten, vom Umland ganz zu schweigen.